Ehrlichkeit in 60 Sekunden

Ehrlichkeit in 60 Sekunden

Monia

Von Monia

monias.org

Unser Anspruch: ein Video auf der Startseite, das ARLINA in kurzer Zeit erklärt. Wir leiden. Über ein Jahr haben wir so viel gelesen, geschrieben, diskutiert. ARLINA ist in uns ein eigenes Universum, doch wir wissen, dass wir noch keine Sprache gefunden haben, um das in einer Minute zu beschreiben. Wie beschreibt man ein Universum in 60 Sekunden? Jeden Tag scheint etwas anderes am wichtigsten. Nun gut. Wir versuchen es. Unser erster Versuch:

Liebe-volle Visio­nen der Gesellschaft von Mor­gen erfordern eine kollek­tive Bewusst­sein­ser­weiterung. Bewusst­sein und Gesellschaft sind untrennbar miteinan­der ver­woben: ohne Bewusst­sein­ser­weiterung kön­nen wir nur die Lim­i­tierun­gen von heute ver­steti­gen. Ohne gesellschaftlichen Mehrw­ert wird Bewusst­sein­ser­weiterung verse­hentlich zum Ego-Trip und strebt weit­er­hin nach Macht, Ruhm und Reich­tum. ARLI­NA ver­ste­ht sich als eine Gemein­schaft von Glüh­würm­chen, die beschei­den und doch selb­st­be­wusst Licht in die Welt brin­gen – einzeln nur ein kleines Lichtlein, gemein­sam jedoch ganze Areale erhellen kön­nen. Hier­bei fol­gt jed­er Men­sch dem Pfad, der der eige­nen Biografie entspricht, weit­et sich zu den eige­nen The­men und ergänzt die Gesellschaft um das eigene Han­deln. Der Fokus bei ARLI­NA liegt auf dem eige­nen Bewusst­sein und dem eige­nen – ganz einzi­gar­ti­gen und schein­bar kleinen – gesellschaftlichen Beitrag, der sich über die gesamte Leben­szeit Stück für Stück ent­fal­ten darf.

Wir schicken es der Marketing-Agentur, die wir extra ausgewählt haben, weil ihre Gründer beide tief in ihrer spirituellen Praxis verwurzelt sind und sie sich auf Gemeinwohl-Organisationen spezialisiert haben. Sie verstehen uns und können uns ja vielleicht helfen, eine verstehbare Botschaft zu formulieren. Die Antwort:

„Was ist das (Marketing) Ziel dieses Videos? Eher Bekanntheit, Menschen ausfiltern oder Conversion? Generell macht es bei euch auf der Homepage Sinn, in solch einem Video, die Besucher:innen direkt anzusprechen und ihnen ganz kurz und klar sagen, wo sie hier gelandet sind und wie sie hier “ihren Durst” löschen können, also das bekommen können, nach dem sie sich hier sehnen. D.h. auch, dass das Video mit einem konkreten Call to Action (CTA) endet.“

Tja, was ist unser Ziel: wir möchten so klar wie möglich sagen, was ARLINA ist und was Menschen hier erwarten können, wir möchten dank Ehrlichkeit und Transparenz die Möglichkeit geben, klar entscheiden zu können, ob sich jemand zu uns gesellen möchte oder nicht. Unser Call to Action wäre daher wohl am ehesten: guck mal, ob Du Dich erkennst.

Unser UX-Designer macht sich auf den Weg und befragt Menschen. Die Rückmeldungen, die er mitbringt, beinhalten u.a. auch, dass wir das Wort Liebe-voll nicht nutzen können, das ist einfach zu unprofessionell. Äh. Aber genau darum geht es uns. Das ist der Kern dessen, was uns am Herzen liegt. Aber am Herzen ist dann vielleicht auch schon wieder nicht ok? Unsicherheit und Trotz melden sich. Wir erhalten einen schönen Vorschlag des UX-Designers:

Was wäre, wenn die Antworten auf die drän­gen­den Fra­gen unser­er Zukun­ft direkt vor unseren Augen lägen? In ein­er Welt voller ras­an­ter Verän­derun­gen und dig­i­taler Ver­net­zung ist es wichtiger denn je, dass wir unsere Augen nicht vor den Her­aus­forderun­gen unser­er Zeit ver­schließen. Wir alle haben das Poten­zial, unsere Gesellschaft bewusst mitzugestal­ten und den Grund­stein für eine ökol­o­gis­che Wende zu leg­en. Doch wie kön­nen wir sich­er­stellen, dass sich genü­gend Men­schen auf den Weg begeben? Wenn wir Räume schaf­fen, in denen Spir­i­tu­al­ität und Wis­senschaft, Natur und Tech­nolo­gie miteinan­der in Ein­klang existieren dür­fen und Bil­dung und Bewusst­sein­sen­twick­lung für jeden zugänglich sind, kön­nen wir gemein­sam einen nach­halti­gen Pfad in Rich­tung ein­er besseren Zukun­ft einschlagen.

Das finden die befragten Menschen gut. Aber ist das ehrlich? Ist das wirklich ARLINA? Die rasanten Veränderungen und digitalen Vernetzungen sind nicht wirklich am Ursprung unserer Motivation. Die ökologische Wende – so wichtig sie uns ist – ist nicht die Essenz unseres Ansinnens. Aber all das ist natürlich in unserem Sinne und offenbar anschlussfähig.

Wir beginnen, an diesem Vorschlag rumzufeilen, nutzen ihn als Grundlage, doch nehmen alles raus, was nicht zu 100% stimmt. Schließlich nehmen wir doch wieder ein weißes Blatt Papier und sammeln. Was glauben wir denn wirklich wirklich? Irgendwann sind wir zufrieden mit unserem Text: ja, das ist genau das, woran wir glauben:

Stell Dir vor, alle Men­schen wüssten, für welchen Teil von Gesellschaft, so klein er auch sein mag, sie liebevoll Ver­ant­wor­tung tra­gen wür­den. Wir glauben, wenn Men­schen beherzt ihren Platz ein­nehmen, kann Zukun­ft gar nicht anders, als sich ganzheitlich zum Wohle aller ent­fal­ten. Worauf es dabei ankommt, ist dein Han­deln. Wir glauben an deine Lebendigkeit, Dein Bewusst­sein und die Wirk­samkeit Deines Seins, egal wie klein es sich auch anfühlen mag. Wir glauben an Dich. ARLI­NA bietet dir Raum, gemein­sam mit anderen den The­men, die Dir ins Herz geschrieben sind, nachzuge­hen. ARLI­NA ist der Ort, an dem Du Dich und die vielfälti­gen Wege und Rollen gesellschaftlich­er Mit­gestal­tung sehen und ganz bewusst erspüren kannst – für eine Zukun­ft, auf die wir uns schon jet­zt freuen.

Doch dann wird es sehr sehr schräg. Wir erhalten vor dem Dreh eine kleine Kostprobe, wie es mit Musik untermalt und professionell eingesprochen klingt (vermutlich einfach, um uns liebevoll zu zeigen, dass unser „Werk“ nicht sonderlich gut ist) – und kommen aus dem Staunen und Lachen nicht mehr raus:

Nichts daran klingt auch nur annähernd ehrlich. Da geben wir uns so Mühe, präzise zu formulieren, was wir wirklich meinen, und dann klingt das einfach nur nach Werbung für einen Energiekonzern oder eine Geflügelfarm. Irgendwie erinnert es uns auch an die Konzerne in den DC-Serien, die angeblich die Welt retten und dann aber die Bösen sind. Gleich muss wegen uns Supergirl die Welt retten. Unsere ehrlichen Worte klingen nur nach einem: einer Werbelüge. Pathetisch. Wir glauben uns selbst fast nicht mehr.

Wir geben auf. Der Dreh findet ohne Vorbereitung statt. Wir beschließen, dass Philipp einfach aus der Situation heraus spricht, unvorbereitet und authentisch. Und dann sehen wir weiter. Doch irgendwie bleibt ein bitterer Beigeschmack: wir glauben wirklich an jede Person, die bewusst Gesellschaft mitgestaltet. Wir glauben wirklich nicht an Held:innenepen oder Masterpläne, sondern an den Schwarm, der aus uns allen zusammengesetzt ist. Gibt es keine Sprache, in der wir das äußern können, ohne dass es nach einer pathetischen Werbelüge klingt? Hat die Werbeindustrie alle schönen Worte gekapert?