Erweiterte Bewusstseinszustände
Von Monia
monias.org
Ich habe gerade ein Interview mit Joan Borysenko gehört, in dem sie kaum von ihrer eigenen Arbeit erzählt hat, sondern vorrangig von Theorien, die sie in ihrer inneren Arbeit leiten. Dabei habe ich viele meiner Erlebnisse wiedererkannt. Worte und Konzepte aus der Theorie, die mir Sprache für meine Erfahrungen geben, gehören zu meinen Lieblingsgeschenken – und diese Geschenke möchte ich mit Euch teilen.
Vorrangig habe ich die Präzision genossen, mit der William James 1902 die vier wesentlichen Merkmale erweiterter Bewusstseinszustände beschreibt: Transienz, Unbeschreiblichkeit, Noetik und Passivität.
- Transienz: Es sind kurze, vorübergehende Momente – manchmal nur Sekunden, selten länger als ein-zwei Stunden. Dann gehen wir wieder über in unser Alltagsbewusstsein, mit einer teilweise verschwommenen Erinnerung. Und doch fühlen sie sich wertvoll und wichtig an, ein Gefühl, das uns die Phasen zwischen diesen Momenten als Entwicklungsphasen empfinden lässt.
- Unbeschreiblichkeit: Es ist unmöglich, diese Zustände zufriedenstellend in Worte zu fassen und nicht verstehbar, wenn eine Person diese Erfahrungen nicht selbst gemacht hat. Es ist mehr eine Gefühlsqualität als eine intellektuelle Qualität und Beschreibungen wirken oftmals kindlich oder absurd.
- Noetik: Sie sind jedoch voller Sinnhaftigkeit und Wahrheit, es fühlt sich realer an als die Konsens-Realität, als würden wir von Wissen besucht werden, ohne es uns erarbeiten zu müssen – eine tiefe Form des Lernens, die nichts mit unserem klasisschen Lernverständnis zu tun hat. Uns fällt die relevante Wahrheit quasi zu.
- Passivität: Wir haben nur sehr geringen Einfluss darauf, diese Zustände herzustellen. „You can´t crash the gates of heaven„, beschreibt es James. Diese Erfahrungen entziehen sich unserem Willen und unserer Kontrolle. Selbst wenn wir Bedingungen herstellen können, in denen sie sich eher einstellen können (beispielsweise Meditation), sind wir doch Empfänger:innen und nicht Akteur:innen. Nicht selten stellen sie sich auch in ganz unvorhersehbaren Kontexten ein (in meinem Fall beispielsweise auf der Toilette einer Diskothek).
Zusammenfassend gibt es eine Welt, von unserer Wachwelt nur durch die Haut einer Seifenblase getrennt, in der uns Augenblicke wichtiger und doch unaussprechlicher Wahrheiten geschenkt werden. Diese Welt in unser gesellschaftliches Engagement zu integrieren, sie gar als Fundament unseres Handelns zu betrachten, das ist vielleicht die konkreteste Formulierung von dem, was ARLINA unterstützen möchte.
Manchmal hoffen wir durch solche Erlebnisse zu irgendeiner Form von Gesamterleuchtung zu gelangen. Spannend ist jedoch, dass sowohl Joan Borysenko als viele andere Personen, die ihr Leben der praktischen und theoretischen Erforschung von Bewusstsein gewidmet haben, letztendlich sowas beschreiben wie: „Ich bin etwas gütiger geworden“. George Vaillant hat diese Emotionen kategorisiert, die sich dank einer spirituellen Praxis, der Öffnung für andere Bewusstseinsebenen, einstellen: Liebe, Vertrauen, Ehrfurcht, Mitgefühl, Dankbarkeit, Vergebung, Freude und Hoffnung. Borysenko definiert Spiritualität als sich ausweitende Verbindungen, der wachsenden Fähigkeit, sich mit vielerlei zu verbinden, im Innen wie im Außen. Und das Geschenk für diese stetig anhaltende Ausweitung ist kein großartiger Erleuchtungsmoment, sondern ein Leben, das Schritt für Schritt ein wenig friedlicher ist – für uns selbst und andere.
Gesamtgesellschaftlich sprechen wir wenig über unsere erweiterten Bewusstseinszustände, obwohl weit mehr Menschen solche Erlebnisse hatten, als wir denken. Das hat viele Gründe. Doch Lisa Miller empfiehlt, sie oft zu erinnern. Ich füge dem hinzu: und uns Kontexte zu suchen, in denen wir gemeinsam Annäherungen an das Unaussprechliche suchen. Die Erinnerung an diese Zustände ruft sie in unserem Gehirn wieder auf und wir trainieren so die notwendigen neuronalen Pfade. Doch auch das trainierteste Hirn ändert nichts daran: wir können die Tore zum Himmel nicht eintreten. Zentral bleiben unsere Bereitschaft und unsere Fähigkeit, zu empfangen.