Aeltere frau die mit hoher temperatur kaempft

Bildung entlang der Jahreszeiten

Philipp

Von Philipp

Co-Founder des ARLINA

Bis heute habe ich ein tief gespaltenes Verhältnis zu Sonnencreme. Klar, verfrühte Hautalterung und Hautkrebs finde auch ich nicht schön. Doch schon allein der Geruch erinnert mich an mein kindliches Ich, dem am Ostseestrand von meiner Mutter Sonnencreme mit breiter Hand über das Gesicht aufgetragen wird. Unvermeidbar immer mit schnörkelndem Sand, der wahrscheinlich in den 90ern apriori Sonnencremes beigemischt wurde! Trotzdem genieße ich den Sommer. Offene Hemden tragen, im Café sitzen oder durch die Natur streifen und den Bäumen bei der Photosynthese zuschauen. Draußen schlafen und einfach nur sein. Herrlich! Irgendwie ist der Sommer für mich ein Ankerpunkt, ja sogar die Hoch-Zeit des Jahres, auch mein Sein ist anders. Alles ist leichter irgendwie.

Denke ich an den Winter, verspannt sich sofort mein Rücken. Dabei hat der Winter doch viele schöne Anlässe parat, Weihnachten zum Beispiel. Alles ist hell erleuchtet. Die Kälte jedoch lässt mich buchstäblich nicht kalt. Der Winter fühlt sich für mich wie der absolute Nullpunkt des Jahres an. Die Bäume haben ihre Kräfte tief ins Innerste zurückgezogen und auch mein Sein sitzt zusammengekauert da und wartet, wartet und wartet.

Nördlich und südlich des Äquators werden wir in eine Hemisphäre hineingeboren, die bestimmt ist durch den festgeschriebenen Takt der Jahreszeiten. Wie sehr wir auch strampeln, wir entkommen ihm nicht. Klar, wir könnten im Winter ins Warme fliegen. Aber das hilft auch nur kurz und mehr als eine Flucht ist es nicht. Durch den Wechsel der Jahreszeiten kann uns am Leichtesten unsere Verbundenheit mit dem Universum bewusst werden. Kein Universum = Keine Sonne = kein Sonnensystem = Kein Sonnensystem = Keine Erdbahn = Keine Jahreszeiten = Keine Ihgitt!-Gefühle gegenüber Sonnencreme.

Die Jahreszeiten haben einen immensen Einfluss auf alles Leben. Laubbäume verlieren ihre Blätter, Zugvögel ziehen gen Süden und sogar die Fertilität bei Tieren kann sich ändern. Sonderlicherweise tun wir Menschen jedoch oft so, als hätten Jahreszeiten, wenn überhaupt, nur etwas mit unserer Kleidungsauswahl zu tun. Das ist paradox, weil wir je nach Kultur unser Jahr nach bestimmten Jahreszeitenabhängigen Festen ausrichten (Ostern, Weihnachten, Sommersonnenwende etc.). In Schule, Bildung und Beruf berücksichtigen wir das aber kaum und machen weiter "als würde nichts geschehen".

Dabei haben Jahreszeiten auch auf Menschen einen großen Einfluss. Sogar die menschliche Fertilisation ist in Teilen Jahreszeitabhängig. So ist der Erfolg von In-Vitro-Fertilisationen in der Zeit von Oktober bis März größer als im restlichen Jahr. Auch das männliche Sperma ist im Herbst und Frühling am besten. Der Körperfettanteil steigt im Winter und viele Menschen kennen den Zustand einer Winterdepression. Natürlich spielen hier kulturelle, wie Wetter- und Tageslängenbedingte Faktoren zusammen. Nichtsdestotrotz unterliegen Menschen den Veränderungen der Jahreszeiten, bis hin zu einem erhöhten Schlafbedürfnis (vgl. Bernhart 2004).

Einzig das Erziehungssystem richtet sich vage nach dem Jahreszeiten aus. Es orientiert sich aber weitestgehend auf die kulturellen Merkmale des Jahreslaufs und vermittelt Jahresstrukturierende Feste (Vogelhochzeit, Ostern, Weihnachten) im Kindergarten durch Lieder oder das Einstudieren von kleinen Theaterstücken. Im Bildungssystem sieht das anders aus. Ich will sogar behaupten, dass es reiner, aber glücklicher Zufall ist, dass Prüfungen zumeist im Frühjahr/ Frühsommer abgehalten werden. In Schule ist das restliche Jahr zwar durch Ferien strukturiert, eine ausformulierte Strategie zum Umgang mit den Besonderheiten des menschlichen Beeinflusst-Seins durch den Lauf der Jahreszeiten gibt es, wider besseren Wissens, jedoch nicht. Die Besonderheiten des menschlichen Körpers anzuerkennen fällt Schulen aber grundsätzlich schwer, was sich durch teilweise absurd frühe Schultagesstarts ausdrückt. Zu einem bewussten Umgang des eigenen Biorhythmus trägt Schule somit nicht bei.

Unsere Denk- und Leistungsfähigkeit aber auch unsere Offenheit unterliegen Jahreszeit bedingten Schwankungen. Darauf zu reagieren ist die Verpflichtung jedweden echten Bildungs-Systems. Dabei gibt es neben den kollektiven, physischen Schwankungen durch das Jahr auch die individuellen Empfindungen. Bei mir ist es der Sommer, der mich belebt. Andere empfinden den Herbst oder eine andere Jahreszeit als Hoch-Zeit. Wir sollten Menschen ermöglichen, hier in Ehrlichkeit, frei von Schaffens-Mythen, sich selbst zu erkunden und die Nachricht der eigenen Erfasstheit durch die Natur nach Außen zu tragen. Gleichwohl brauchen wir Räume, die es anerkennen, wenn ein Mensch im Winter zu kaum mehr als Nahrungsaufnahme im Stande ist oder im Sommer auf Grund der Wärme nur Schwitzen und Eiswürfel lutschen kann. Ein inneres und äußeres Anerkennen in Ehrlichkeit wäre die Folge. Abseits der von Menschen oft vor sich hingetragenen Erzählungen von Leistungsbereitschaft und Schaffenskraft könnten wir dann zusammenkommen und uns Bildungsräume dann in der Form suchen, wie sie in unser Jahr hineinpassen. Anstatt die eigene Erzählung aufrechtzuerhalten, könnten wir uns in schaffensreiche Jahreszeiten freudvoll hineinbegeben und tatsächlich Dinge bewirken.

Reiseliteratur

Bernhart,R (2004): Wahrnehmung von Jahreszeiten - Biologische Mechanismen und ihre evolutionäre Bedeutung. IN: Matreier Gespräche - Schriftenreihe der Forschungsgemeinschaft Wilheminenberg. 2004. 106-119. Abrufbar unter: https://www.zobodat.at/pdf/Mat...


Titelbild von Freepik