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Mit Erich Fromm das Herz ins Handeln fließen lassen

Philipp

Von Philipp

Co-Founder des ARLINA

Neben Familienbildern steht in meinem Bücherregal oben mittig ein Bild von Erich Fromm. Seine Gedanken geben mir immer wieder Halt und manchmal sitze ich zähneknirschend oder auch mich selbst belächelnd mit dem Herzen in seine Texte fließend da. So ganz genau weiß ich gar nicht mehr, wann ich das erste Mal mit Fromm in Berührung gekommen bin. Ich denke, dass das im Studium gewesen sein muss. Haben oder Sein, der absolute Fromm Klassiker, war Lektüre eines meiner Seminare. Im Nachhinein bin ich unglaublich froh über den Luxus, mich schon im Studium mit diesen reichen Gedanken habe beschäftigen zu dürfen, wenngleich ich es damals kaum in der Form wie heute geschätzt habe.

Ich erinnere mich aber noch sehr gut an den Moment, als mich Fromm´s Gedanken so richtig durchdrungen haben. Ich saß an einem warmen, sonnigen Tag im Frühsommer auf einer Hollywood Schaukel unter einem großen Wallnussbaum. Soweit ich weiß war ich 26 oder 27 Jahre alt. In meiner Hand hielt ich Die Kunst des Liebens. Lesend durchdrang mich ein Moment des Bewusst-Werdens nach dem anderen. Erich Fromm lässt mich seither nicht mehr los und mehr als ein Mal waren seine Gedanken mir Trost und Antrieb. Auch das ARLINA ist von seinen Gedanken durchdrungen weshalb ich meine Begeisterung mit euch teilen will.

Liebe ist eine Aktiv­ität und kein pas­siv­er Affekt. Sie ist etwas, das man in sich selb­st entwick­elt, nicht etwas, dem man ver­fällt. Ganz all­ge­mein kann man den aktiv­en Charak­ter der Liebe so beschreiben, dass man sagt, sie ist in erster Lin­ie ein Geben und nicht ein empfangen.

— Erich Fromm: Die Kun­st des Liebens 1956

Ein Gedanke, den zwar schon Schiller in seinen Überlegungen "Über die ästhetische Erziehung des Menschen" formuliert hat, findet sich bei Fromm nochmals präsenter und zwar die grundlegende Unterscheidung zwischen Vernunft und Logik, sowie die Emphase von Liebe und Vernunft als Fundament menschlichen Seins. Da ich mit dem eher funktionalistisch geprägten Begriff der Intelligenz hadere, trifft es mich ganz warm, wenn Fromm Vernunft als Tiefendimension beschreibt, "die zum Wesen der Dinge und Prozesse hinführt" (Fromm 1947). Gleichwohl dämpft Fromm damit die Erwartung, die an Vernunft gestellt wird und kühlt die aktivistische Forderung eines von Kant formulierten "Sapere Aude! - Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!" (Kant 1784) auf ein nüchternes Maß herunter. Er blickt klar auf die Funktion von Vernunft, die "zwar nicht von praktischen Lebenszwecken abgetrennt [...], ist aber doch kein bloßes Werkzeug für sofortiges Handeln" (Fromm, 1947) darstellt. Insofern ist ein Mensch, der von seiner Vernunft gebrauch machen kann jemand, der im Stande ist "zu wissen, zu verstehen, zu erfassen und den Menschen durch dieses Begreifen zu den Dingen in Beziehung" (ebd.) zu setzen weiß.

Vernunft, so verstanden, ist kein passiver Akt. Sie ist aktiv, wie die Liebe es ist. Liebe und Vernunft können im Anschluss an Fromm daher so verstanden werden, dass sie zueinander in einem symbiotischen Verhältnis stehen, wobei der perpetuierende Anteil der Liebe wohl überwiegt, da sie die Freude gibt und damit die Verlebendigung der Vernunft anstößt, welche ihrerseits die Resonanzbasis mit der übrigen Welt bildet und das Kontaktverlangen mit ihr zur Folge hat.

Es läßt sich zeigen, dass das Glück für den Men­schen in der Liebe zum Leben liegt, also in etwas sehr Aktivem, in der Freude an ein­er Pflanze, in der Freude an ein­er Land­schaft, in der Freude an Musik, in allem, in dem der Men­sch seine ihm eingegebe­nen Fähigkeit­en […] benutzen kann, etwas zu schaffen.

— Inter­view Erich Fromm mit Jür­gen Lode­mann 1980

Von unseren Mitochondrien bis hin zu sozialen Aushandlungen. Menschen können nicht anders, als tätig zu sein. Tätiges Sein ist, meint die Philosophin Hannah Arendt, die Grundbedingung menschlichen Seins, wie sie in ihrem Hauptwerk "Vita Activa Oder Vom Tätigen Leben" (1960) schreibt. Wir sind dazu bestimmt zu Schaffen und unsere Fähigkeiten in den Dienst des Tätigseins zu stellen.

Eine weitere Orientierung, die bei Fromm immer wieder auftaucht und die am obigen Zitat, finde ich, wunderbar deutlich wird, ist die der Biophilie - der Liebe zum Leben. Ein Gedanke, der vom Philosophen Andreas Weber in die heutige Zeit getragen wird. Er fordert in diesem Kontext ein Enlightment 2.0 (Aufklärung 2.0), welches er Enlivement nennt und womit er die Verlebendigung der Seele meint und eine Kultur des Lebens reklamiert (vgl. Weber 2016).

Da unser Körper zeitlebens lebendig und dazu bestimmt ist, in dieser Liebe zum Leben zu stehen (vgl. Fromm 1947; Weber 2016), ist es geboten die Liebe zum Leben in ihrer tätigen Form auszuprägen. Jedoch verhindert die Entfremdung des Menschen von sich selbst und von der Welt die Entfaltung all unserer inhärenten Kräfte (vgl. Fromm 1956, 21ff.). Ein Ausweg aus dieser Misere sei, so schreibt Fromm, das schöpferische Tätigsein (ebd., 34f.).

Der Weg zum Tun ist zu sein.

— Lao-tse

Eine der zentralen (Haltungs-)Fragen bei Fromm ist die nach dem Haben oder Sein, welche für ihn "zwei grundlegend verschiedene Formen menschliche Erlebens sind" (Fromm 1979, 30), "deren jeweilige Dominanz die Totalität dessen bestimmt, was ein Mensch denkt, fühlt und handelt." (ebd. 39). Während im Haben die Beziehung zur Welt die eines Besitzergreifens und Unterwerfens ist, tritt Sein in der Dualität von "Lebendigkeit und authentischer Bezogenheit zur Welt" (ebd., 40) sowie im Willen die wahre Wirklichkeit zu sehen (ebd.) auf. Im Verständnis des Seins nach Fromm ist ferner ein produktiver Charakter angelegt, da das Sein nicht am Verbrauchen oder Gebrauchen der Welt, von Menschen oder Tieren interessiert ist, sondern am Erkennen, Anteilnehmen, Verstehen und daran in Beziehung einzutreten, ohne im Gegenüber nach Funktion oder Zweck zu suchen oder das Gegenüber danach zu urteilen. Im Sein Existenz zu finden, bedeutet sich mitzuteilen und damit an Lebendigkeit mitzuwirken (vgl. Weber 2017).

All das jedoch kann kaum Wirklichkeit werden, wenn Menschen der Zugang zu ihren innersten und dringlichsten Fragen verwehrt bleibt, da ihnen keine Räume zur Verfügung stehen, in welchen sie diesen nachgehen können. Dabei kann die Faust´sche Grundfrage danach, was uns und die Welt im Innersten zusammen hält in ihrer Bedeutung kaum überbewertet werden: Erst dann, wenn uns die Bewegungen und Bezogenheiten unseres Körpers, unserer Seele und unseres Geistes innerhalb und außerhalb bewusst sind, kann Orientierung entstehen, die sich nachhaltig in uns trägt. Effekthaft kann dieses Bewusstsein jedoch nur in Gemeinschaft sein. Für sich stehend verhallt es. Gemeinschaft wiederum kann nur entstehen, wenn ein Mensch in der Lage ist in Beziehung zu sein. Produktiv ist eine Beziehung dann, wenn sie nicht auf Haben ausgelegt ist, sondern auf Sein ausgerichtet. Schlussendlich: Das Sein ist der Liebe das Fundament und wenn deine liebevolle Bezogenheit zur Welt und zu den mich umgebenden Menschen dir ins Bewusstsein gelangt, dann fließt dein Sein in die Welt, wirst ihr anteilig in der Form wie du ihr anteilig wirst. Dann fließt die in dir angelegte Lebendigkeit über dein Herz in die Welt.

Ohne Liebe kön­nte die Men­schheit nicht einen Tag existieren.

— Erich Fromm: Die Kun­st des Liebens. 1956. S. 36

Reiseliteratur

Arendt, Hannah (2002) [1960]: Vita activa oder Vom tätigen Leben. München (Piper)

Fromm, Erich (2018) [1947]: Psychoanalyse und Ethik. München (dtv)

Fromm, Erich (2005) [1976]: Haben oder Sein. München (dtv)

Fromm, Erich (2015) [1956]: Die Kunst des Liebens. München (dtv)

Kant, Immanuel (1784): Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? In: Berlinische Monatsschrift 4 (1784), S. 481–494. URL: https://www.deutschestextarchi... (Stand 01.11.2023)

Schiller, Friedrich (2000) [1795]: Über die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen. Leipzig (Reclam)

Weber, Andreas (2016): Enlivement. Eine Kultur des Lebens. Berlin (Matthes und Seitz)

Weber, Andreas (2017): Sein und Teilen. Eine Praxis schöpferischer Existenz. Bielefeld (Transcript)