Maennliches modell das einen baum umarmt

Naturverbundenheit

Philipp

Von Philipp

Bildungswissenschaftler, Co-Founder des…

Ich will dem Winter entkommen. Kurzentschlossen sitze ich im Auto auf dem Weg nach Garda. Einige Stunden Autofahrt später bin ich da und die Weite des Gardasees liegt vor mir. Zypressen, alte Gebäude und Olivenhaine - alles umgeben von hohen Bergen. Die Sonne glitzert im See und Paraglider kreisen durch die Thermik. Ich sitze vor meinem Laptop, arbeite still vor mich hin, Blicke auf die Berge und schlürfe Kaffee. Am Abend gibt's Pasta. Dolce Vita.

An einem der nächsten Tag entschließe ich mich mit einer Seilbahn auf einen der vielen Berge zu fahren. Oben ist es dann doch empfindlich kalt und ich ziehe die Kapuze meiner Jacke tief in mein Gesicht. Ich spüre, wie meine Schultern angespannt sind. Eigentlich wollte ich der Kälte doch entkommen! "Der Ausblick wird es jedoch wert sein" sage ich mir und freue mich in die Ferne zu schauen auf all die wunderbaren Bergketten der Alpen. Tatsächlich offenbart sich mir ein Blick, der bis in die österreichischen Berge reicht. Vor mir liegen schneebedeckte Bergspitzen, ich stehe auf über 1500m über Normalnull und vor mir öffnet sich ein traumhaftes Postkarten-Bergpanorama, das fast schon kitschig ist. 

Als Jugendlicher fuhr ich mit meinen Eltern nach Garmisch-Partenkirchen. Ich hatte lange darauf gewartet, dass wir auch mal in den Alpen Urlaub machen. Mittelgebirge kannte ich zur Genüge. Schließlich wuchs ich am Rande des Harzes auf. Kaum noch zählen konnte ich die Male, die ich auf dem Brocken war. Egal zu welcher Tages- oder Jahreszeit. Und trotzdem, mein Herz schlug jedes Mal, mit jedem Meter Richtung Gipfel froher. Jedoch wollte ich auch mal die wirklich hohen Berge sehen. Natürlich nahm ich mein Mountainbike mit in den Urlaub. Auf der Karte suchte ich mir einen Berg in der Umgebung, den ich gern hinauf fahren wollte. Auf dem Weg nach oben lief mir der Schweiß den Körper hinab. Kurz vor der Bergspitze dachte ich "In jede Richtung werde ich gleich in die Ferne schauen können" - ich fühlte mich verdammt hoch. Oben angekommen war ich perplex. Vor mir türmte sich in eine nochmal so hohe Felswand auf. Ein noch höherer Berg lag vor mir. Ich legte mein Rad ins Gras, ging ein paar Meter und setzte mich staunend. Ich war überrumpelt von der Mächtigkeit der Felsformation, die bis in die Wolken reichte - ich war überrumpelt von der Welt. Ich war randvoll mit Gefühlen ob all dieser Schönheit.

Nun stehe ich jedoch auf einem Berg am Gardasee und spüre rein gar nichts. Ich beobachte intensiv meine Gefühle aber entdecke kaum den Hauch von Begeisterung. Ich werde traurig, bin enttäuscht, fast wütend. Ich schaffe es nicht mit der Schönheit in Verbindung zu treten. Ich starre so lange die Kälte es zulässt in die Ferne und Blicke damit mehr auf mich selbst und meine Taubheit als auf die Berge. Dabei werde ich ganz still. Ich bin verunsichert.

Wieder zurück im Tal gehe ich der Erfahrung nach, die ich auf dem Berg gemacht habe. Warum war da keine Verbundenheit? Eine echte Antwort habe ich nicht. Ich akzeptiere den Moment und beschließe mich dafür nicht zu verurteilen. Ängstlich bin ich jedoch weiterhin: "Was wenn diese tiefen Gefühle nie wiederkehren?". Ich verstehe, dass meine Angst daher rührt, dass die Welt mir durch ihre Naturschönheit etwas gibt, was sich als tiefer liebevoller Akt anfühlt. Nicht mit ihr in Beziehung treten zu können fühlt sich paradoxerweise wie ein Liebesentzug ihrerseits an. Dabei bin ich es doch, der "es nicht hinkriegt".

Einige Zeit später spaziere ich durch einen Park. Unter mehreren Bäumen gleitet meine Hand unwillkürlich nach oben ins Blattwerk. Meine Finger gleiten durch die Blätter. Ganz sanft, erkundend, ja, gegenseitig bringen der Baum und ich uns gegenseitig in Erfahrung. Da ist plötzlich Verbundenheit. Mir wird die Schönheit meines Gegenübers schlagartig bewusst - wie verrückt, dass die Sonnenstrahlen, die auf das Blatt treffen immerfort Energie erzeugen. Welche Weisheit diesem Baum innewohnt! In mir strahlt ein Lächeln auf.

Naturverbundenheit, dass ist mir jetzt bewusst, kann nicht erzwungen werden. Sie ist wie die Liebe zweier Menschen. Sie bäumt sich auf, sobald sie bewusst ist aber braucht sensibles Hinsehen und stete Pflege um von Verliebtheit zu Liebe zu werden. Sehen mit allen Sinnen ist es, was erspüren lässt, wie wir als Menschen mit der Welt, die uns umgibt verbunden sind. Als Menschen sind wir ein untrennbares Eins mit Natur. Mehr noch, wir sind Natur. Insofern sind wir mit ihr auch verbunden. Diese Verbundenheit dürfen wir sehen lernen und feiern. Sie ist nur nicht stete Überwältigung, sondern kontinuierliches Zulassen wollen.

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